STAATSVERSCHULDUNG
Wie die Bundesländer immer höhere Schuldenberge auftürmen
Nach dem Bund hebeln nun auch CDU-geführte Bundesländer in großem Stil die Schuldenbremse aus. Ökonomen warnen vor unkalkulierbaren Risiken.
Martin Greive
02.05.2023 - 18:00 Uhr, перевод: машинный
Berlin. Der Topf sollte es „in sich haben“, kündigte die neue Landesregierung an, und das hat er. Bis zu zehn Milliarden Euro soll das neue Klima-Sondervermögen der Stadt Berlin umfassen. Damit will die neue CDU-geführte Landesregierung der Klimapolitik einen „Schub geben“.
Berlin ist nicht das einzige Bundesland, das einen solchen Sonder-Schuldentopf vorbei an der Schuldenbremse auflegt. Auch NRW, Bremen und das Saarland haben jüngst neue Milliardenschulden beschlossen. Das kleine Saarland übertrifft dabei alle: Der Sondertopf in Saarbrücken umfasst drei Milliarden Euro – bei einem Haushalt von gerade mal 5,4 Milliarden Euro.
Nachdem der Bund seit Ausbruch der Coronakrise immer mehr Extrahaushalte schuf, hebeln damit auch die Bundesländer die Schuldenbremse immer stärker aus – zum Entsetzen vieler Ökonomen. „Ich halte die neuen Sondervermögen für eine Gefahr“, sagt der Finanzwissenschaftler Lars Feld, der auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) berät.
Vor allem drei Bundesländer, die jahrelang als besonders klamm galten, sich zuletzt finanziell aber gefangen hatten, rücken wieder in den Blickpunkt: „Insbesondere das Saarland, Bremen und Berlin drohen in eine erneute Haushaltsnotlage zu geraten, wenn die eingesetzten Mittel nicht zu den erhofften Wachstumsimpulsen führen“, sagt Feld.
Auch der wissenschaftliche Beirat des Stabilitätsrats übt in einer neuen Stellungnahme Kritik. Immer neue Schattenhaushalte machten die Länderhaushalte intransparent und erschwerten es dem Stabilitätsrat, der die Finanzen von Bund und Ländern beaufsichtigt, „die Regelkonformität der öffentlichen Finanzen zu überwachen“, schreiben die Ökonomen.
Schuldenbremse ist für Länder strenger als für den Bund
Thiess Büttner, Chef des wissenschaftlichen Beirats beim Stabilitätsrat, warnte vor immer gewichtigeren gesamtstaatlichen Defiziten. Zudem gefährdeten Extrahaushalte die Einhaltung der europäischen Schuldenvorgaben. Denn anders als in Deutschland werden die ausgelagerten Schulden in Europa bei Anwendung der Schuldenregeln berücksichtigt.
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Vorreiter der Entwicklung, auch auf Landesebene immer neue Nebenhaushalte zu schaffen, war das Saarland. Der dortige Finanzminister Jakob von Weizsäcker (SPD) war schon als Chefökonom von Olaf Scholz (SPD) im Finanzministerium kein Freund der Schuldenbremse. Bereits damals suchte er nach Möglichkeiten, wie der Staat trotz der strengen Auflagen der in der Verfassung verankerten Schuldenregel mehr investieren kann.
Die Schuldenbremse ist für die Länder noch strenger als für den Bund. Anders als der Bund, der zumindest über einen kleinen Verschuldungsspielraum verfügt, dürfen die Länder gar keine neuen Schulden machen. Viele Landesfinanzminister halten das nicht für sinnvoll. So auch von Weizsäcker.
Als saarländischer Finanzminister setzt er nun seine früheren Ideen in die Praxis um. Das Saarland ist besonders vom Strukturwandel betroffen. Das kleine Bundesland ist von der Automobilproduktion geprägt, fast alle größeren Unternehmen sind damit bedroht. Die Landesregierung setzt daher auf Investitionen in die Zukunft.
Mit jüngst geglückten Ansiedlungen wie etwa dem US-Halbleiterhersteller Wolfspeed sieht sich die saarländische Landesregierung in ihrer Strategie bestätigt. So will sie das Geld aus dem Sondertopf gerade auch für solche Ansiedlungen nutzen.
Allerdings hat das Saarland anderen Bundesländern eine fragwürdige Blaupause geliefert, sagt Ökonom Feld. „Das Saarland achtet noch auf die investive Ausrichtung seines Sondervermögens, andere überhaupt nicht mehr“, beklagt er.
Vor allem stellt sich die Frage, ob die Gründung der Schattenhaushalte überhaupt noch angebracht und damit noch rechtens ist. So haben sich die Bundesländer in den vergangenen Jahren immer höhere Anteile am Gesamtsteueraufkommen gesichert und sich trotzdem immer mehr Leistungen vom Bund bezahlen lassen. „Die Länder müssten deshalb besser in der Lage sein, aus eigener Kraft mit Schocks umgehen zu können“, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum.
Kritik an Sondervermögen der Länder
Nordrhein-Westfalen brachte Ende vergangenen Jahres ein Sondervermögen von bis zu fünf Milliarden Euro zur „Krisenbewältigung“ im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg auf den Weg. Das Vermögen sei auf ein Jahr begrenzt, die Mittel könnten danach nicht mehr verwendet werden, sagt der nordrhein-westfälische Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU). Es sei also Vorsorge gegen Dauerfinanzierungen über Sondervermögen getroffen worden.
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Anders ist es in Bremen und Berlin. Die dortigen Regierungen haben erst in diesem Jahr gehandelt – als die Krise eigentlich schon wieder vorbei war. Bremen etwa hat die Notstandsklausel angewendet, die mehr Schulden zulässt, und Verbindlichkeiten von drei Milliarden Euro aufgenommen, die in den regulären Haushalt fließen sollen.
Ökonom Südekum bezeichnet es als „als wenig überzeugend“, dass Berlin „jetzt noch schnell“ Änderungen am Haushalt plant. Dabei steht er Sondervermögen auf Länderebene sonst offen gegenüber, wenn eine Landesregierung damit die ökonomische Basis gegen Energiepreisschocks verteidigt oder die Transformation voranbringt.
Bemerkenswert ist zudem, dass die CDU-Ministerpräsidenten in NRW und Berlin kein Problem damit haben, die Schuldenbremse auszutricksen, die Union im Bund aber zeitgleich beim Bundesverfassungsgericht gegen das Klimasondervermögen des Bundes klagt.
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https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/staatsverschuldung-wie-die-bundeslaender-immer-hoehere-schuldenberge-auftuermen-/29126844.html